Die hier vorliegende Sammlung der Getreidespeicher in und um Niederösterreich, dokumentiert und analysiert 200 Objekte, angefangen von den barocken Schüttkästen, über die mächtigen Betonsilos der 1960er Jahre bis hin zu zeitgenössischen Sonderformen.
Silos stellen eine multiple Gebäudetypologie dar. Sie sind Speicher und Sender, Merkzeichen und Aussichtswarte des ländlichen Raums. Sie bergen das Potenzial, Startpunkt einer zukünftigen rurbanen, ruralen und urbanen Siedlungsentwicklung zu sein.
Alt, staubig und modern
Mehr als 150 Getreidesilos strukturieren die Ackerbaugebiete Niederösterreichs, sie sind Landmark, zufälliges Wahrzeichen der Kulturlandschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts und könnten als „Agrarkirchen“ der Region bezeichnet werden. Im Gegensatz zu anderen technischen Wahrzeichen des infrastrukturell hochgerüsteten ländlichen Raums, den Windrädern, Ölpumpen, und Hochspannungsleitungen kann den Silos eine raumordnerische Aufgabe zugesprochen werden. Sie stehen dem Kirchturm gegenüber, sind in der Regel höher als dieser und vervollständigen eine Art „Doppelturmprinzip“ im Dorf. Sie rhythmisieren wunderschön die flache, leicht ondulierte Landschaft der Ackerbaugebiete und bilden ein Netzwerk von Hochpunkten, bestens angebunden an die Bahninfrastruktur. Und obwohl die Funktion und das Programm immer das Selbe ist, gibt es keine baugleichen Silos, sie haben sehr unterschiedliche Höhen, Proportionen, Additionen und Accessoires.
Das Fassungsvermögen der Silos war und ist Indikator der jeweiligen Agrarintensität einer Region und gleichzeitig weithin sichtbares funktionales Logo der Genossenschaft. Rund 2.000.000 Tonnen Getreide wurden 2014 in Niederösterreich geerntet, etwa zwei Drittel davon wurde in Silos getrocknet, gespeichert und verteilt, man könnte die bis zu 70 Meter hohen Türme auch als gebaute Wirtschaftsdiagramme bezeichnen und sind Ausdruck der Industrialisierung der österreichischen Landwirtschaft. Das Lagern des Schüttgutes1 ermöglicht es mit der Ware zu spekulieren, und es zum „richtigen“ Zeitpunkt zu verkaufen.
1 Schüttgut: ein körniges oder auch stückiges Gemenge, das in einer schüttfähigen Form vorliegt